no adorno for butler

die normalität frisst alles. und die deutsche normalität findet sich wieder in den zahlreichen nutzlosen kommentaren in feuilletons und auch in einem tv-beitrag der „hessenschau„:
in der ansage zu einem beitrag über die heutigen proteste gegen die adorno-preisverleihung an judith butler intonierte der moderator:
doch ihre verdienste waren zuletzt nicht mehr thema. stattdessen dreht sich alles nur noch um die kritik juedischer interessenvertreter.
im beitrag an sich wurde butler dankbar auf dem podium gezeigt und der off-kommentar urteilte:
adorno waere wahrscheinlich stolz gewesen. doch genau das bestreiten viele juedische organisationen darunter auch die prozionistische linke und andere gruppen die zur demonstration aufgerufen haben.

der affekt etwa, die „prozionistische linke“ nebst „anderen gruppen“ gleich zu juden zu machen ist stilführend. wer als frankfurter prozionistisch denkt, muss ein jude sein.

autorin war daye di simoni, die die erfindung des farbfernsehens als ihre motivation angibt.

fast zeitgleich durfte ein mitglied der „kommission“, marlene steeruwitz, in der 3sat-sendung „kulturzeit“ den medialen und heute an der frankfurter paulskirche präsenten protest als „sprache der gewalt“ interpretieren. zum poststrukturalismus würde adornos theorie zwar taugen, aber nun beginne etwas neues.
schön gesagt. overcome kritische theorie.
und dass adorno überhaupt preise verliehen hätte ist mehr als zweifelhaft. benutzt wird er wie goethe als stempel und sightseeingobjekt. eine inflationäre leiche. denn selbst wenn man sein gesamtes werk auf das meistbenutzte zitat „es gibt kein richtiges leben im falschen“ reduzieren würde, selbst dann wäre deutlich, welch semi-ereignis sich heute in frankfurt vollzogen hat.
gunter grass und martin walser (beide sehr aktiv in der boomzeit deutschlands) bekommen gefühlt alljährlich einen preis für ein lebenswerk, dessen qualität ich nicht erkennen kann, außer daß sie als alte männer gegen israel agitieren und deutschland scheinbar sonst nicht viel im mainstream vorzuweisen hat. in dieser tradition des preisverleihens des preisverleihens willen kann man auch den heutigen tag verstehen.


an der paulskirche gab es einen eingang ohne roten teppich für grazile gestalten wie die grüne stadtverordnete jutta ebeling. frau butler benutzte wohl den hintereingang. auf der einen seite hatte vor allem die organisation um sacha stawski („honestly concerned“ / „i like israel„) das publikum versucht auszustaffieren mit israelfähnchen und vorgedruckten schildchen. nicht jeder hat eins genommen.
stawski redete auch und er freute sich, daß so viele menschen da seien, die entweder links, mittig oder…. pause … etwas anderes seien. rechts wollte er nicht sagen. tatsächlich wurde die veranstaltung okkupiert von einer mehrheit an menschen, die sich ziemlich eindeutig links oder wenigstens „ideologiekritisch“ gerierten. auch keine „bibeltreuen christen“ in sicht.
so betonte auch der redner der „gruppe morgenthau“ nein nein nein er verstünde sich nicht als links.


auf der anderen seite ein kleiner pulk an fünfzigjährigen die din a4-seiten hochhielten mit der aufschrift „thank you judith“.
ich bin dann mal rüber gegangen und fragte einen, wofür er denn so dankbar ist. für die infragestellung von geschlechterverhältnissen? natürlich nicht. und wem er sonst noch danken würde? grass, möllemann, mahler? er sprach von der israelischen „apartheid“ und fragte mich ob ich „antideutscher“ sei. ich: sieht man mir das an? er: nein, aber du fragst so.
dann erzählte er mir, dass er seit jahrzehnten bei der vvn-bda aktiv sei und seit jahren gegen krieg und imperialismus kämpfe. israel sei der brückenkopf des us-imperialismus. jaja. dann bin ich wieder rübergegangen.
bei der kundgebung sprachen neben stawski auch matthias küntzel, ein rabbiner, dessen namen ich leider vergessen habe und der wortwörtlich live in abrahmas horn blies, sowie eben die „gruppe morgenthau“ und die „prozionistische linke„.
der sehr sympathische david bowie-like sprecher letzterer rief dann im letzten drittel auf zu einer schweigeminute für die opfer des „größten islamistischen terroranschlags in amerika“, der vor 11 jahren in new york mehrere tausend todesopfer forderte. der vvn-bda-vertreter und seine freunde intonierten von der ersten sekunde an einen sprechgesang, der lautete: „9/11 – cia! 9/11 – cia!“.
auch als küntzel butler unterstellte, sie trete (vor allem angesichts ihres bevorstehenden buches, das sich nun mehr unverhohlen ganz und gar einer eliminatorischen spielart der „israelkritik“ widmet) für die abschaffung des staates israels ein, gab es erstmal applaus von gegenüber. die „free palestine“-rufe unterstrichen dass die friedensaktivisten das für eine gute lösung halten würden.

währendesen saßen repräsentanten des bereinigten deutschlands in der paulskirche, gelangweilt bis auf kurze interventionen daraufhin aus dem saal geworfener menschen, vermutlich „jüdische interessenvertreter“, die ärsche platt und verschenkten 50.000 euro an judith butler. weil irgendwas muss man ja machen. als partnerstadt von tel aviv und so.

den durchaus amüsanten redebeitrag der „gruppe morgenthau“ gibt es mittlerweile online – hier.
der redebeitrag von matthias küntzel ist hier zu finden.


related:
  • israelsoli III
  • israelsoli I
  • gegen den „al-quds-tag“
  • antifaschistischer iran-aktionstag
  • wahlen im iran

  • 30 Sep 2012, 16:34
    by Kim Berra


    comment:

    Aha. Judith Butler ist also eine friedensbewegte, deutsche Verschwörungstheoretikerin? Was die deutsch(sprachig)e Linke hier am Laufen hat, hat die amerikanische Linke aus verständlichen Gründen nicht am Laufen. Ich finde den Adorno-Preis für Butler sehr gut, vielleicht kommen dann mal endliche linke Positionen miteinander ins Gespräch. Wenn sich denn beide Seiten endlich mal mehr trauen, als sich gegenseitig blöd zu finden

    9 Nov 2012, 15:39
    by Moe


    comment:

    „israel sei der brückenkopf des us-imperialismus.“ Und du bist sicher, dass der Typ kein Nazi war? Oder muss mensch dazu erst die Wortschöpfung „USrael“ in den Mund nehmen?
    *facepalm*

    10 Nov 2012, 1:04
    by dissi


    comment:

    verspätete antwort @ kim berra: dafür, dass eine hamas-appeasement-vertreterin und israelboykott-befürworterin einen 50.000 euro-preis im namen adornos erhalten hat, darüber kommen nicht „endlich linke positionen miteinander ins gespräch“. es sei denn man zahle den verschiedenen parteien jeweils ebenfalls 50.000 euro.
    ich verstehe auch nicht, welchen schwarzpädagogischen effekt du dir da erhoffst. bekehrung der andersdenkenden durch mainstream-prämierung planloser preisverleiher?

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