cottbus schaut zu

(der artikel wurde in einer redigierten und gekürzten version zuerst in der jungle world 2018/03 veröffentlicht)

Wenn die Polizeisprecherin von Cottbus, Ines Filohn, ihre Stadt als „Universitätsstadt“ bezeichnet, klingt es ein bisschen so, als wäre das ein Prädikat oder ambitioniertes Selbstverständnis.
Nicht zum ersten Mal muss Frau Filohn aber Fragen der Presse ob fremdenfeindlicher Übergriffe in ihrer Universitätsstadt beantworten.
Die Pressestelle ihrer Behörde hat bis heute nicht über einen Vorfall in der Silvesternacht berichtet. Stattdessen hatte in der 2. Januarwoche ein Statement der Bürgerinitiative „Cottbus schaut hin“ ein Presseecho ausgelöst.


haltestelle „gelsenkirchener platz“, cottbus-sachsendorf

Drei afghanische Flüchtlinge wurden auf ihrem Weg in eine dezentrale Unterkunft im Stadtteil Sachsendorf von einer mindestens sechsköpfigen Gruppe angegriffen und trugen teilweise schwere Verletzungen davon. Einer der Betroffenen erlitt einen Kieferbruch.
Das Wachpersonal der Unterkunft soll die Bitte der Betroffenen ignoriert haben, die Polizei zu rufen, stattdessen gelangte die Gruppe von Angreifern in die Unterkunft.

Als erst nach über 20 Minuten ein Anruf bei der Polizei erfolgt sei, habe das Wachpersonal die Angreifer darüber informiert und so die Flucht ermöglicht. Zudem hätte es der Polizei gegenüber Falschaussagen über die Fluchtrichtung der Angreifer gemacht.
Besondere Brisanz erhielt diese Veröffentlichung der Initiative durch deren ergänzende Facebook-Recherche über die privaten Interessen des Inhabers der dort von der Stadt Cottbus eingesetzten Sicherheitsfirma.
Kai D. folgte diversen Gruppen und Seiten, die sich gegen sogenannte „Scheinasylanten“, „Asylbetrüger“ oder gegen die Errichtung einer Erstaufnahmeeinrichtung am östlichen Rande Brandenburgs wandten.


selfie des cottbusser kapuzengrundmodells. quelle: facebook

Ebenso hinterließ er der „Unbequemen Jugend Cottbus“ ein Like, der Quasi-Jugendorganisation der rechtsradikalen Schläger-Hooligans „Inferno Cottbus“, die sich 2017, eines absehbaren Verbots als kriminelle Vereinigung vorauseilend, aufgelöst hat. (Jungle World 2017/40)

Auf die Frage, ob diese Firma eine geeignete Wahl für den Schutz von Flüchtlingen gewesen sei, führt der Pressesprecher der Stadt Cottbus, Jan Gloßmann, an, dass der Sitz jener Firma in Chemnitz angemeldet ist, für die „Grundüberprüfung“ einer Firma sei man dort zuständig. Außerdem haben die Informationen zum Zeitpunkt der Vergabe nicht vorgelegen und zu prüfen sei ja stets auch, ob Facebook-Aktivitäten bereits strafbewehrt oder von freier Meinungsäußerung gedeckt seien.
2 Tage vor dem Gespräch mit der Jungle World ((am 10.01.2018)) äußerte Gloßmann gegenüber dem rbb, es gäbe „keinen Hinweis auf ein Fehlverhalten“ der Security-Firma.

Die Aussagen der Betroffenen galten ihm offenbar nicht als Hinweis.
Zu Aussagen im offiziellen Rahmen seien zwei Betroffene aber schon am 03.01. vonseiten der Stadt Cottbus ermuntert worden, so Stefanie Kaygusuz-Schurmann, Leiterin der Koordinierungsstelle Asyl.
Maria Koch von „Cottbus schaut hin!“ konnte das gegenüber der Jungle World nicht bestätigen.

So oder so stehen aktuell scheinbar zwei Aussagen von Betroffenen mindestens zwei weiteren vonseiten der Security-Firma aus Chemnitz gegenüber.

In Cottbus selbst herrscht derweil kein Mangel an Securityfirmen. Der rbb zählt in einer aktuellen Recherche immerhin 52 und spricht von einer deutlichen rechten Unterwanderung dieser Branche.
Der Sender berichtete auch, dass die Stadt Cottbus im vergangenen Jahr die Dienstleistung eines wegen einer Messerstecherei vorbestraften Führungsmitglieds der örtlichen „Hells Angels“ mit der Betreuung ihres Stadtfestes beauftragte. Während weiterer laufender Ermittlungen.
Die intensiven „internen Prüfungen“, die man laut Gloßmann also nun auch angesichts des Vorfalls aus der Silvesternacht zu erwarten habe, waren scheinbar bereits zuvor nicht sehr effektiv.

Auch die Staatsanwaltschaft Cottbus ist bislang nicht zu einem Ergebnis gekommen, weshalb im April 2017 eine ägyptische Gaststudentin spätabends in einer nachts äußerst wenig frequentierten Tempo 30-Zone überfahren wurde.
Mehrere Zeugen hatten ausgesagt, dass die später im Krankenhaus verstorbene Frau von Beifahrern des Autos noch am Tatort und schwerverletzt rassistisch beschimpft wurde.
Die ägyptische Partneruniversität der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) in Cottbus veranlasste daraufhin den Umzug einiger ihrer Schutzbefohlenen nach Berlin. Aus Sicherheitsgründen quasi.

Frau Filohn denkt auch ungern an 2015 zurück. Damals musste eine Notunterkunft von Geflüchteten, in einer Turnhalle, von der Polizei Cottbus gegen einen Mob besorgter Bürger verteidigt werden.
Es habe damals mehr und teilweise kurzfristigere Anmeldungen von Kundgebungen und Demonstrationen gegeben als heute.


screenshot mai 2017 (npd cottbus)

Daran beteiligt war auch die damals noch relevante NPD, die auf ihrer Website vor einer „Verwestlichung“ von Cottbus warnte.

Heute ist alles geordneter. Die Initiative „Zukunft Heimat“ versammelt besorgte Bürger und mitunter stramme Neonazis bei recht regelmäßigen Kundgebungen in Cottbus. Sie feierte auf ihrer Website den Wahlerfolg der AfD, von der sie unabhängig sei, obwohl auf den Kundgebungen stets AfD-Redner sprachen.
Durch diese Bündelung sei es in Cottbus eigentlich etwas ruhiger geworden, so Filohn.

Luise Meyer von der Antifa-Initiative „Cottbus nazifrei!“ hält genau das für eher kein gutes Zeichen. Sie rechnet mit einer Verfestigung von Strukturen und Netzwerken Rechtsradikaler in der Region.

Derweil wird 2018 vielleicht nicht nur der Zuzug von Studierenden dazu beitragen, dass Cottbus immerhin den Titel „Großstadt“ zurückerhalten könnte. Die Bevölkerungszahl pendelt seit 2009 knapp unterhalb der notwendigen 100.000.

Die Brandenburger Version der sogenannten „Wohnsitzauflage“ führe derzeit zu einem zusätzlichen „unkontrollierten Zuzug“ von Flüchtlingen. Denn die Auflage ermöglicht anerkannten Asylbewerbern zumindest innerhalb des Bundeslandes noch eine freie Wohnortwahl.
Cottbus nimmt dabei als zweitgrößte Stadt des Landes einen nahezu urbanen Status ein.
Dass sich, trotz allgemein stark rückläufiger Flüchtlingszahlen, durch weiteren Zuzug nach Cottbus eine andere „gefühlte Wahrheit“ etablieren könnte, beunruhigt Gloßmann und Kaygusuz-Schurmann.

Für Ende des Monats ist nun zunächst die Veröffentlichung eines „Integrationsplans“ geplant, der sich auf die in der Stadt gewachsenen Helferstrukturen stützt. Außerdem möchte Kaygusuz-Schurmann ein „Beschwerdemanagement“ auch auf den Alltag in von Sicherheitsfirmen betreuten Unterkünften ausweiten.

Die Firma von Kai D. bleibt nach aktuellem Stand vorerst weiter für die Stadt tätig.

(15.01.2018)

————–

Was seitdem geschah:

Im Gespräch mit der „Jungle World“ unterstützte Pressesprecher Gloßmann im Grunde den Vorschlag der Brandenburger CDU, eine „Wohnsitzauflage“ (aka „Residenzpflicht“) nach Sachsener Modell einzuführen. Flüchtlingen sollten „Wohnsitze verbindlich zugewiesen“ werden.

Zwar wurde die „Wohnsitzauflage“ in Brandenburg offiziell nicht verschärft. Aber nach 2 Vorfällen, die eine wesentlich größere Aufmerksamkeit als die Vorgänge in der Silvesternacht errangen, muss die kreisfreie Stadt laut Brandenburger Innenministerium nun keine Flüchtlinge mehr aufnehmen. Dies diene der „Deeskalation“.

Nach Prügeleien zwischen Jugendgruppen – Cottbus nimmt keine Flüchtlinge mehr auf“ (Tagesspiegel)

Cottbus macht dicht!“ (Bild)

Polizei leakt Privatadresse verdächtigter Flüchtlinge in sozialen Netzwerken (Niederlausitz aktuell)


Der sogenannte „Widerstand Cottbus“ ruft derweil zur Bewaffnung auf.


Am Samstag demonstrierten Hunderte besorgter Bürger, auf Flickr gibt es eine Fotoreihe vom Presseservice Rathenow dazu.

währendessen und anschließend:

Rechte Demonstranten greifen Journalisten an“ (Berliner Zeitung)

Streit zwischen Deutschen und Ausländern eskaliert erneut“ (Berliner Zeitung)

(to be continued)


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