ivi bleibt?

2007 bin ich aus frankfurt geflüchtet. meine immatrikulation war mir egal, ich wollte nicht in frankfurt 30 werden. außerdem drohten studiengebühren.
ja, man könnte sagen, die entscheidung, ausgerechnet an den prenzlauer berg zu ziehen, war nicht die radikalste lösung. aber die 4 jahre in berlin waren gut, auch wenn sich der rausch des unterschieds nach 6 monaten relativ erledigt hat und die oberbaumbrücke nie zu einem kultisch verehrten ort geworden ist.
nun bin ich seit märz wieder hier. nicht in tübingen, nicht in goslar oder stuttgart.
ein vorab-trostpflaster für die regression der rückkehr war das ivi. 2003 entstanden und bundesweit bekannt als einer der besseren orte in den eher belanglosen städten arg deutschen kernlandes.
ungefähr zum gleichen zeitpunkt wurde der verkauf des seit neun jahren vom leerstand befreiten ehemaligen hörsaals der goethe-universität bekannt. die ansprüche der nun verantwortlichen aktiengesellschaft wurden bereits eindrucksvoll durch hausfriedensbruch unterstrichen.

ich bin kein ivi-plenumsbesucher. ich habe dort keine transpis aus dem fenster gehängt. ich hab da noch nie geschlafen. dennoch war die gründung des „instituts für vergleichende irrelevanz“ für mich 2003 ein folgerichtiger umstand. links zu sein ohne das gehirn auszuschalten war damals nicht automatisch realistisch. die fortschreitende banalisierung von studieninhalten und die dummdreistigkeit lokaler außerparlamentarischer linker musste ja einen rückgriff auf die „frankfurter schule“ provozieren. definitiv nicht aus lokalpatriotismus, sondern aus selbstschutz, gehirn und herz zu bewahren vor der einbetonierung in antiimperialistische traditionsmantren.

was das ivi diesbezüglich inhaltlich geleistet hat, auch als institut der re-education, ist kaum einschätzbar. in einer zeit, in der schwäbelnde teenager egotronic-texte zitieren können, hat das ivi nicht gerade an daseinsberechtigung verloren. auch sei frankfurt inzwischen befriedet, sagte man mir. und bei der kürzlichen demo gegen mietwucher und grenzdebile gentrificationswünsche stand angelika wahl neben ivi-sprecherinnen. die frankfurter linke ist scheinbar voll harmonisch. scheinbar haben sich ansätze („schurken ohne staat“-schlägertrupps) erledigt, hier eine „zk“ aufzubauen.

wenn das ivi nun aufgrund von sachzwängen abgewickelt wird, wird aber frankfurt auch für mich nicht mehr relativierbar sein. frankfurt ist eine provinzstadt mit einer katastrophalen kultur- und stadtpolitik. es ist kein guter ort zu leben. ein bezahlbarer sowieso nicht. es ist die brutale durchsetzung von einem schein. dem schein von weltstadt, dem schein von luxus, dem schein der glänzenden oberfläche. ausgerechnet da und genau da war das ivi die antwort zu einem passenden zeitpunkt. und ich danke allen beteiligten. ich hätte frankfurt nicht überlebt ohne das ivi.

die „frankfurter rundschau“ erwähnte kürzlich in einem artikel lobend die spd, die sich nun angeblich an die seite des ivi’s schlagen will. piraten wurden auch erwähnt. die lokale linkspartei kann das ivi nicht lieben und wenn dann nur zweckmäßig und kurzfristig (israelsolidarität? igitt!).
ich hatte den bauchfühligen affekt, da unbedingt was auf die leserkommentare in der online-fr zu antworten. dies zitiere ich nun hier. mehr kann ich nun auch nicht sagen.

Dem IvI eine „geschlossene Gesellschaft“ zu unterstellen, geht nur, wer das dem „Cafe Exzess“ oder anderen Einrichtungen des ausgewiesenen Links-Seins ebenso unterstellt. Tatsächlich stand das IvI stets allen Menschen offen. Die Quasi-„Hausordnung“ bestand aus nichts anderem als die Ablehnung von Sexismus, Rassismus und Antisemitismus, weswegen Palitücher nicht unbedingt erwünscht waren.
Die Distinktion von anderen Linken war zum Zeitpunkt der Gründung des IvI’s bitter nötig und ist es meiner Meinung nach noch jetzt. Die antiimperialistische Linke ist nach wie vor eine Karikatur seiner selbst.
Die Grabenkämpfe zwischen hiesigen und jenen Linken scheinen zu meiner Überraschung (ich war mehrere Jahre in Berlin zwischendurch) in Frankfurt einigermaßen erledigt zu sein. Vor einigen Jahren wurden noch Menschen in der „Au“ krankenhausreif geschlagen, wenn sie „Save Israel“ an eine Häuserwand sprayten. Heute scheint alles weniger hysterischer.
Ich finde nichts Schlimmes daran, eher im Gegenteil, wenn sich ideologiekritische Menschen ein eigenes Konzept erarbeiten, das sich Weiterbildung jenseits der durchbachelorisierten Studiengängen, Kunst, Feierei und auch politischen Widerstand widmet jenseits des eher engen Korsetts von Steinzeitlinken mit ihren trotzkistischen Zeitungsverkäufern und Venezuela-Solidaritätskreisen.
Abgesehen davon war das IvI so was von offen was z.B. Konzerte angeht. Es spielten internationale Bands, die in Frankfurt sonst niemals eine Venue gehabt hätten.
Das IvI ist diesbezüglich ein Ort, der überhaupt Off-, Sub- oder Indiekultur jenseits der kommerziellen Konzertagenturen förderte und das zu moderatesten Preisen.
Als ich im März aus Berlin wieder nach Frankfurt/Offenbach gezogen bin, war das IvI der Ort, den ich für Konzerte am häufigsten aufgesucht habe. Es gab Post Rock, Punk, Drone, Indie. Zum Teil aus den USA und immer zu Berliner Preisen oder darunter.
Praktiziert wurde im IvI das, wofür Berlin so idealisiert wird. Nischenkultur. Aus sich selbst entstanden und nicht aus einem Förderungsfonds für gestellte Mannigfaltigkeit.
Ein Frankfurt ohne IvI würde zur Provinzialisierung beitragen, zu der diese Semi-Metropole leider schmerzhaft neigt. Und interessanter als FR-Leser, die nicht kapieren, wozu das IvI gut sein soll sind die Erfahrungen der Menschen, die da regelmäßig gerne hingehen und dummerweise eben nicht dem Klischee entsprechen, das sich vielleicht manche ausmalen, die dort in 9 Jahren noch nie gewesen sind und welches im schlimmsten Fall in sozialdarwinistischen Hasstiraden über drückebergerische Studenten endet.
P.S.: Wenn eine Stadt einen sogenannten „Adorno-Preis“ ausgerechnet einer Frau übergeben möchte, die zum Boykott Israels und als angebliche Gender-Theoretikerin explizit Partei ergreift für Hamas und Hizbollah, die beide sicherlich enorm emanzipatorische Ansprüche verfolgen, dann ist ein IvI gesellschaftspolitisch mehr als nötig.

wer das ivi unterstützen möchte, kann das z.b. über diese online-petition tun. „wissenschaftler_innen und künstler_innen“ dürfen auch hier unterschreiben.

hier noch ein beitrag der arte-sendung „tracks“ über das ivi. (anno 2007)


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