pop: film frankreich funny games gewalt horror irreversibel kino martyrs michael haneke natural born killers snuff
8 comments
teilen!
gewaltporn.
vorab: der begriff „gewaltporn“ ist hier nicht als genre gemeint, vor allem nicht innerhalb der porno-industrie.
„gewaltporn“ ist ein schimpfwort, das filmen entgegengebracht wird, die explizite und schwer verdauliche gewaltdarstellungen beinhalten. um so „künstlerischer“ sie sich dabei trotzdem selbst einschätzen, um so schmerzhafter diese totschlag-wertung.
in den letzten jahren wurde einigermaßen an der schraube des mutmaßlich erträglichen gedreht.
ich rede hier aber nicht über „snuff„, diese ultimativ ekelerregende perversion, die zumindest pseudomäßig bereits mehrfach bedient wurde („gesichter des todes„). wer zu diesem thema etwas wissen möchte, sei auf diese dokumentation von „channel 4“ (uk) verwiesen.
martyrs, pascal laugier (2008)
weibliche libidinöse liebe; trauma, zerstörung und gewalt im nacken. dann die umkehr der perspektive: von der aufopfernden komplizin der rache zurück zur opferrolle, die gleichen qualen durchlebend, die ihre vorgängerin dazu brachte, zu sein, was sie ist.
der französische film „martyrs“ verfolgt neben der geschichte einer aufopfernden freundschaft eine schwer erträgliche perspektive. „hostel“ mal 100 wäre in etwa die passende formel für die intensität dieses films.
um so weniger bekannt ist über den verlauf der handlung dieses films, der den höhepunkt des letztjährigen „fantasy filmfests“ darstellte, um so heftiger wird der film wirken. denn die finale mündung ist gar metaphysisch.
ich kann den film nur empfehlen, aber schaue ihn, bevor du zuviel darüber weißt. ich werde hier keinen trailer verlinken.
der film ist jetzt selbst in d-land auf dvd erschienen. ungeschnitten. die synchronisation ist okay.
der film ist sehr extrem. aber moralische vorwürfe sind ihm schwer zu machen. anders als bei „saw“ oder auch dem durchschnitts-slasher-film findet hier gewalt nicht als spaßopiat statt. nein, es ist furchtbar. es ist zeitweise unerträglich. die meisten zuschauer dürften sich zur mitte des films fragen, warum sie sich das überhaupt antun.
deshalb will ich noch ein paar worte über „gewaltporn“ verlieren.
die menschen, die gewaltporn produzieren, würden das so nie nennen. sie nennen es ja kunst. und das ist ein an sich dehnbarer begriff.
„gewaltporn“ ist eher die behauptung von gewalt als selbstzweck.
das sind zwei cineastisch etablierte filme, auf die ich es anwenden würde:
1.) „irreversible“, gaspar noe‘ (2002)
dieser film ist ein „skandal“ aus berechnung. einfach deshalb weil es handwerklich kaum möglich ist, gewalt exzessiver und penetranter zu inszenieren und es so wirkt, als sei genau das der eigentliche antrieb des regiesseurs gewesen. denn der stoff an sich ist unfassbar dünn.
es gab in den letzten jahren viele filme, die in deutschland zum teil unter dem label „kontroverses kino“ vermarktet wurden, darunter z.b. auch etwa „ken park“ von larry clark, sich aber manchmal bei genauerem hinsehen nur als gewichse in gewaltorgie entpuppten.
caspar noe’s „irreversibel“ etwa, auch ein film aus frankreich: er beginnt mit der minutenlagen großbildaufnahme von dem gewaltexzess eines muskulösen heteromannes, der mit einem standaschenbecher das gesicht und den schädel eines homosexuellen in einer gangbang-disco zertrümmert.
ein weiteres highlight des films: die ewig lange vergewaltigungsszene einer frau in einer fußgängerunterführung. one cut, keine perspektivwechsel. es laufen ein paar passanten vorbei.
der film erzählt rückwärts, wie ein hässlicher muskelproll diese vergewaltigung rächen will und sich an einem mutmaßlichen täter ausgerechnet in der schwulendisco verausgabt.
von diesem film, besetzt mit vincent cassel und monica bellucci, bleibt eigentlich null haften bis auf diese zentralen brutalo-szenen. denn der rest ist inhaltlich ausdrücklich naiv, dümmlich und belanglos in szene gesetzt, obgleich mit der einen oder anderen spektakulären kamerafahrt.
sollte mir der film eine lehre eingeprügelt haben wollen, ich habe sie boykottiert.
der film ist einfach nur unangenehm, egomanisch und sinnlos, brachte es dennoch zu einem enormen hype.
es liegt aber nahe, zu unterstellen, daß es noe‘ mit diesem film in erster linie darum ging, seinen namen als kinowerktätigen zu befestigen. als krasser typ. mit dem längsten. gewaltexzess.
p.s.: der regiesseur, der nach „irreversible“ keinen kinofilm mehr geschaffen hat, hatte vorher noch einen anderen, nur bedingt weniger brutalen film mit dem bezeichnenden titel „menschenfeind“ gedreht. den fand ich auch unangenehm, aber sogar recht gut.
2.) „funny games“, michael haneke (1997)
der österreicher haneke würde ein solches urteil der „sinnlosigkeit“ niemals auf sich sitzen lassen.
sein „funny games„, später nochmal von ihm selbst für den us-markt neuverfilmt, hat eine message. und die ist unübersehbar, penetrant und zum kotzen.
haneke ist ein schwarzpädagoge, er will sein publikum leiden und büßen lassen.
in seinem film wird ein ferienhäuschen, bewohnt mit einer durchschnittsfamilie, überfallen von 2 vidioten, die die hälfte der familienmitglieder umbringen und die andere hälfte zu tode quälen. es sitzen schluchzende, dann verstummende, dann wieder weinende und dann eventuell kotzende familienmitglieder vor weißen, blutverschmierten wänden. minutenlang, kein schnitt, kein perspektivenwechsel. es soll weh tun.
ästhetisch viel mehr weh tut allerdings der umstand, daß die 2 vidioten, zwei vollkommen seelenlose charaktere, über die der zuschauer nicht viel mehr weiß, als daß sie zuviele „gewaltvideos“ geschaut haben, dann noch ihre fernbedienung in die kamera halten, den laufenden spielfilm des zuschauers vor- und zurückspulen. der zuschauer also hat keine kontrolle über die fernbedienung. er wird zum zuschauer wider willen. es soll ihm eine lehre sein.
daß hanekes absicht mit diesem film so ultra-autoritär ist, wie der film wirkt, davon konnte ich mich via eines telefoninterviews kurz nach dem kinostart im september 1997 überzeugen, in dem er unter anderem oliver stones „natural born killers“ und quentin tarantinos „pulp fiction„, beides filme des us-kinos, als „gewaltverherrlichend“ brandmarkte.
dabei ist gerade „natural born killers“ ein unfassbar schlechtes beispiel. auf geniale weise spielt stone darin mit einem ständigen wechsel der präsentation. sämtliche szenen sind in sich selbst permanent unterbrochen. der film über ein mordendes white trash-päärchen, das durch seine gewaltexzesse zu einem pop-phänomen wird, wird u.a. szenenweise als sitcom (mit lachendem publikum von band), als comicstrip, als mtv-reife gewaltverherrlichung mit „rage against the machine„-soundtrack und herunterfallenden patronenhülsen in zeitlupe, sowie u.a. als hektisch-verwackelter fernsehbeitrag einer reality-tv-show inszeniert. in anderen, doku-cam-artigen szenen sieht die gewalt einfach nur hässlich und sinnlos aus. der film zeigt mit allen mitteln, wie einfach es ist, die gleiche grausamkeit auf verschiedene weise zu verkaufen. die tatsächliche „wahrheit“ wird offen gelassen.
man nennt das mediensatire. und innerhalb dieses genres bekommt „nbk“ die volle punktzahl.
was haneke bei anderen, amerikanischen regiesseuren so bestürzte, die vergewaltigung des zusehers durch schwerverdauliches, führt er selber viel brutaler weiter, aus überzeugung eindimensional, und ausgerechnet zugunsten einer fragwürdigen message, eines erhobenen zeigefingers, einer moral. sein gewaltporno will menschlichkeit in das publikum prügeln.
ich empfinde nichts mehr als einen cineastischen machtmißbrauch als die belästigung mit einer autoritären holzhammer-message. deswegen vielleicht kann ich bis heute nichts mit hanekes filmen anfangen. ich habe auch „cache“ gesehen, fand ihn recht belanglos und kalt. ich habe „wolfzeit“ gesehen und fand ihn lächerlich bedeutungsschwanger und bekannt oberlehrerhaft.
es ist aber weder traum noch transzendenz, es ist kein kino. es ist nur eindimensionale morallektüre.
aber das ist ja nun auch geschmackssache.
„martyrs“ (2008) – kein gewaltporno.
„martyrs“ finde ich gut. aber auch dieser film zeigt gewalt in einer intensität und drastik, wie sie, ja, gerade im horrorgenre unüblich ist. horror ist ja oft rollercoaster-cinema oder geisterbahn. in diesem sinne sind die rekordzahlen an kunstblut etwa in „braindead“ das äquivalent zum splash!-effekt einer wildwasserbahn. es tut nicht weh.
so leicht kommt der zuschauer hier aber sicher nicht weg. die brutalität hat hier auch keinen beifall und keine belustigung darüber zu erwarten.
wenn gegen ende des films klar wird, worauf das alles hinauslief, denn die zu erwartende handlung endet bereits nach 45 min., wird klar, daß der regiesseur viel weiter wollte, als es vorher vorstellbar war. gerade dieser metaphysische kern dürfte ein paar menschen abtörnen, aber immerhin ist das ein einigermaßen orginelles, weil noch nicht wirklich zuende beackertes themengebiet, das eine allgemeine faszination und unbeantwortete fragen enthält.
vor allem aber ist die inszenierung toll, die schauspielerinnen sind äußerst einnehmend, die mood-swings des films waren jedenfalls für mich, der von der handlung nicht viel wußte, radikal unvorsehbar.
es ist letztlich nur entertainment, aber es geht thematisch so viel weiter. der film ist leidenschaftlich, traurig und erschütternd. aber eben nicht nur erschütternd.
ich blieb dennoch sprachlos zurück. es war eine erfahrung. aber ich fühlte mich nicht missbraucht und vor allem nicht leer wie nach einem gewaltporno.
wer den film schlicht als horrorfilm liest, hat auch nicht unrecht. mehr horror ist schwer möglich. und auch hier steht „martyrs“ in einer tradition. viele menschen waren vor einigen wenigen jahren von „high tension“ begeistert, einem anderen französischen horrorfilm, der gewalt ebenfalls zurück auf die ebene des schrecklichen brachte. etwas, vor der angst berechtigt ist. ein film, der somit furchtbare angst einflößte, allerdings in einer dämlichen auflösung gipfelte, die damals en vogue und gleichzeitig schon vollkommen ausgelutscht war.
die exit-strategie von „martyrs“ spielt in einer ganz anderen liga. denn sie ist der tod an sich, das großereignis eines jeden lebens. nicht mehr, vor allem nicht weniger.
related:
comment:
by Unas
comment:
also irreversible fand ich unheimlich schlecht. Irgendwie wirkt das so gewollt künstlerisch, dass der Film von hinten aufgezogen ist. Ansonsten gehts von einer krassen Szene zur nächsten. Menschenfeind fand ich allerdings genuso schlecht. Der film benutzt immer den gleichen zoom und die gleiche Musik in gewissen Situationen. Funny games habe ich nie gesehn und werde es nach deiner Beschreibung auch nicht tun.
by Unas
comment:
Sorry, aber das muss ich jetzt mal fragen: In deinem irreversible Review hebst du dauernd auf Muskelprolls ab. Was hast du eigentlich gegen Muskeln. Prolls sind überall gleich unangemehm. Was is es denn, dass dich so anfrisst? Fühlst du dich unterlegen? Wenn ja gäbs dafür ja nicht den geringsten Grund. Denkst du, dass die über dich lachen? Wer so assi ist würde das auch ohne Muskelmasse machen.
Is jetzt ein bisschen egoistisch, aber ich führ mich mal selbst an. Ich fühl mich irrational sehr viel wohler damit. Man könnte sagen das ich dadurch endlich mal nen bisschen mit mir zufrieden und selbstsicher bin. Ich will das auf keinem Fall jemandem aufzwingen, ich bin nur erstaunt was du gegen Muskeln hast.
Abgesehen davon setzt man Muskeln immer mit niedrigem IQ gleich. Das lässt sich in der Realitätä kaum verifizieren. 1980 hatten beim Mr. Olimpia fünfzig prozenft der Finalisten den akademischen Grad doctor. Will dich nicht nerven, aber ich bin in dem Thema nun mal echt tief drin.
comment:
ich finde, du psychologisierst das ganz schön krass.
es gibt aber halt menschen, die sind muskelproll und sonst nicht sehr viel. auf den eindimensionalen und dümmlichen charakter in „irreversible“ trifft das ja wohl zu.
ansonsten habe ich eigentlich keine meinung zu muskeln. und daß du viel trainierst würde ich dir nie vorwerfen. solange du keine anabolika nimmst, geht das voll in ordnung. 😉
by Unas
comment:
Wollte dich nicht angreifen. Wenn das so ankam, sorry.
comment:
nein, so kam das gar nicht an. alles ist okay. 😉
by Unas
comment:
martyrs ist ja wohl das heftigste was ich je gesehen habe. Auch wenns wie ein Gewaltporno anmutet, ist es psychologisch gut durchdacht. Die Auflösung, weswegen dies alles geschieht ist überraschend aber gut. Find ich viel besser als bei Hostel, wo das einfach nur kranke Menschen sind die so handeln. Also sehr gut, aber so heftig, dass ich mir jetzt erst mal was triviales reinziehen muss.
comment:
Huhu.
Saugut geschrieben. Ich sehe das genau so und freue mich, mit meiner Interpretation und Wahrnehmung von Martyrs, den ich gestern gesehen habe, nicht alleine zu sein.
Der Film legt Zeugnis ab.
Stefan
danke für den tipp. ich kann mit den aktuellen horror/splatterfilmen, wie bspw. saw oder hostel, nichts anfangen, bin gespannt ob dieser film mein interesse an dem genre wiederbelebt. deine beschreibung hört sich schon mal sehr vielversprechend an.